Nicht-Schwangerschaftstest
Über die heteronormativen Botschaften, die uns Werbung zu „Frauenprodukten“ sendet und wie sie unsere Gesellschaft formen.

Filmausschnitt aus Juno
Es sind die klassischen Bilder: eine Frau wartet gespannt auf ihr Ergebnis, dank neuester Pinkelstreifentechnologie zum Glück nur kurz. Darauf folgen strahlende Augen, in freudiger Erwartung eine:r neuen Erdbewohner:in. Ein Paar, bestehend aus einem Cis-Mann und einer Cis-Frau, sind bereit ein neues Kapitel in ihrem Leben aufzuschlagen und die Geschichte monoton erzählter Lebensrealitäten fortzuschreiben. Die Schwangerschaftstest-Werbung in Vollendung.
Seien es emotional aufgeladene Einblicke in ein Leben, die subtil den Vorzug eines Produkts (Geschwindigkeit) inszenieren, oder absurde Darstellung, wie diese:

Es sind immer dieselben Konstellationen, die Schwangerschaft in ein heiles Umfeld rücken. Doch wie häufig finden sich Anwendungsbeispiele in dieser Form und wie nah an der Realität spielen sie, wenn wir an die Frauen denken, die versuchen schwanger zu werden, der elende Streifen aber immer wieder ein negatives Ergebnis zeigt? Oder, wenn wir an die 7,3 Millionen Teenager denken, die jährlich Mütter werden. Die, die diese Tests vielleicht auf einer Schultoilette machen und das Ergebnis bekommen, was sie sich erst weit später in ihrem Leben gewünscht hätten. Die Frauen, die nicht-binär sind, die Männer, die als biologische Frauen geboren wurden und ebenso schwanger werden können, die Frauen, die keine:n Partner:in brauchen, um sich über das Ergebnis zu freuen und die Frauen, die ihr Kind mit einer Frau aufziehen werden.
Wir müssen all diese Frauen im Blick haben, wenn wir Bilder erschaffen, die sie ausblenden, denn wir tragen mit unserer Arbeit Verantwortung. Wenn sie auch nicht progressiv oder aktiv systemkritisch sein mag, so ist unsere Arbeit ein Spiegel dessen, was wir als normativen Zustand sehen und annehmen. Wenn wir ausschließlich heteronormative, glückliche Paare zeigen, schließen wir aktiv andere Beziehungs- und Familienmodelle aus. Wenn wir Schwangerschaft in einem ausschließlich positiven, erwünschten Rahmen erzählen, schließen wir jährlich 100.000 Frauen aus, die in Deutschland eine ungewollte Schwangerschaft beenden. Das einsame Warten auf ein unerfreuliches positives Ergebnis wird vor dem Blick der Öffentlichkeit verschleiert, genau wie die an einer Ewigkeit kratzenden Minuten, die vergehen, während man im kalten Lichtkegel einer Toilettenkabine sitzt und wartet. Und die Freude über ein negatives Ergebnis? Gibt’s nicht. Wenn wir Produkte bewerben, müssen wir nicht nur die Seiten sehen, die wir zeigen, sondern vor allem die, die wir ausblenden.
Die realistische Darstellung von Produkten, die vornehmlich von Frauen konsumiert werden, erschafft auch ein realistisches Bild von Frauen. Wenn wir aufhören im Kontext der glücklichen, heilen Familie von Schwangerschaften zu sprechen, werden Schwangerschaftsabbrüche neu kontextuiert und diskutiert. Wir können Tabuthemen aufarbeiten, Menschen das Gefühl geben, weniger allein mit ihren Problemen zu sein und einen Diskurs anregen, indem wir nicht nur kreative, sondern progressive Werbung machen. Werbung ist nicht nur ein Vermarktungswerkzeug, sondern eine Waffe, zur gesellschaftlichen Manipulation. Umso mehr, müssen wir sie bewusst nutzen und jede Botschaft kritisch hinterfragen, die wir in der Welt platzieren. Und wenn die progressivste und PR-stärkste Maßnahme wäre, einfach die Realität von hunderttausenden Frauen abzubilden – warum verharren wir dann weiterhin auf die langweiligen, erlernten Bilder von Familien, Weiblichkeit und Rollenbildern?
Quellen:
https://www.aerztezeitung.de/Politik/73-Millionen-Teenager-werden-jaehrlich-Muetter-269642.html